Geht es um Darknet oder Bitcoin, kommen unterschiedliche Interessen zusammen und die Meinungen gehen auseinander: Der Freiheit, anonym zu kommunizieren oder zu bezahlen, stehen Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung gegenüber. Diesem Ziel- und Wertkonflikt müssen sich auch Forschungsprojekte wie PANDA stellen, wenn sie ihre Arbeit planen und deren mögliche Folgen abwägen. In PANDA nehmen wir den Konflikt zwischen Sicherheit und Freiheit ernst und versuchen, ihm durch gezielte Wahl unserer Forschungsstrategie gerecht zu werden: Gibt es Möglichkeiten, die Sicherheit durch Verbesserungen der Kriminalitätsbekämpfung im Darknet zu verbessern, ohne die Freiheit zur anonymen Kommunikation einzuschränken?
Digitale Kommunikations- und Handelssysteme wie das Internet erscheinen immer mehr als zweischneidiges Schwert: Einerseits bieten sie neue Formen der Kommunikation, der Information und der politischen Teilhabe sowie der Algorithmisierung von Produkten, Dienstleistungen und der Verwaltung in einem bisher nicht gekannten Maß. Andererseits treten auch neue Formen der
Bedrohung der zivilen Sicherheit wie der Privatheit durch kriminelle Akteur_innen und politische Extremist_innen sowie durch staatliche und nicht-staatliche Akteur_innen in Erscheinung. Dieser „dual use“-Charakter der digitalen Kommunikations- und Handelssysteme wird besonders am Tor-Netzwerk, einer möglichen Implementation eines Darknets, deutlich: Design-Ziel ist, eine einfache Möglichkeit zu schaffen, weltweit Überwachungs- und Zensurmechanismen zu umgehen und Zugriffe auf Dienste im Internet zu anonymisieren – insbesondere im Interesse von Journalist_innen und Aktivist_innen, die sich etwa Repressionen in autoritären Staaten ausgesetzt sehen.(1)
Prinzipbedingt ist ein System wie das Tor-Netzwerk gegenüber den Inhalten, die über es verbreitet werden, neutral. Allein deshalb kann es nicht überraschen, dass es auch zur Vorbereitung und Durchführung krimineller Aktivitäten – von Drogen- und Waffenhandel bis hin zu Tatbeständen aus dem Staatsschutzstrafrecht – genutzt werden kann und wird. Die Bekämpfung derartiger krimineller Aktivitäten ist legitimer Ausdruck des Sicherheitsinteresses einer Gesellschaft. Ebenso ist es aber auch im Interesse einer demokratischen Gesellschaft und auch ihrer einzelnen Bürger_innen, anonyme Kommunikation für sich und andere zu ermöglichen. Hier ist ein Zielkonflikt zwischen Sicherheit und Freiheit angelegt, der sich anscheinend kaum lösen lässt: Weder können wir es uns erlauben, auf die Verfolgung von Straftaten ohne Weiteres zu verzichten, noch können wir den Anspruch auf Privatheit und Unbeobachtetsein – Voraussetzungen für die Gewährleistung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (2) – einfach aufgeben. Die beiden Ziele scheinen sich vor allem durch ihre jeweiligen Mittel – Ermittlungs- und Überwachungstechniken einerseits, Anonymisierungstechniken andererseits – beständig gegenseitig zu beeinträchtigen.
Hinzu kommt, dass im Fall grenzüberschreitender Kommunikation, wie es beispielsweise im Tor-Netzwerk vorgesehen ist, rechtliche, aber vor allem technische Maßnahmen im Hinblick auf das Darknet stets internationale Auswirkungen haben, etwa Demokratie-Bewegungen in anderen Ländern betreffend. Dies betrifft zwar nicht die innerstaatliche Kriminalitätsbekämpfung direkt, berührt jedoch unter Umständen außen- und sicherheitspolitische Interessen. Mehr noch: Die für eine wirksame und flächendeckende Verfolgung von Straftaten im Darknet naheliegende Lösung, dessen Betrieb und Funktion insgesamt mit rechtlichen und technischen Mitteln wirksam zu beeinträchtigen, zieht aus unserer Sicht unvermeidbar erhebliche Konsequenzen für die Sicherheit und Vertraulichkeit von Kommunikation und Datenverarbeitung im Clearnet, also auch außerhalb des Darknets, nach sich – mit erheblichen Folgen für die Gesellschaft und die vom Internet immer abhängigere Wirtschaft.
Zu diesem Konflikt zwischen Sicherheit und Freiheit müssen sich aus unserer Sicht auch Forschungsprojekte, die das Darknet oder analog den Bitcoin-Handel betreffen, verhalten, ohne sie
auflösen zu können. Dies betrifft insbesondere Wertkonflikte in drei Dimensionen (3):
- hinsichtlich unterschiedlicher Werthaltungen, nicht nur ob der genannte Konflikt überhaupt bestehe und legitim als solcher zu problematisieren sei, sondern auch inwieweit in einem solchen Konflikt Sicherheit gegenüber Freiheit überhaupt ein Vorzug zu geben sei oder umgekehrt. Werthaltungen betreffen noch grundsätzlicher, was unter beiden widerstreitenden Begriffen zu verstehen ist, also als Problem der Sicherheit oder als Moment der Freiheit zu zählen ist. Der Konflikt schreibt sich in der Praxis als Dissense in Einschätzungen und Bewertungen möglicher und unmöglicher Chancen- und Risikopotenziale fort.
- hinsichtlich unterschiedlicher Einschätzungen über tragbare und untragbare Chancen und Risiken sowie Möglichkeiten, auf diese zu reagieren, was seinerseits von unterschiedlichen Bedürfnissen, Zwecken, Präferenzen oder strategischen Entscheidungen verschiedener Akteur_innen abhängt. Infrage steht hier beispielsweise, welche Risiken oder Einschränkungen für wen noch als tragbar zu gelten haben.
- hinsichtlich unterschiedlicher Rechtfertigungsstrategien für jeweilige Entscheidungen und Abwägungen, was insbesondere den Dissens darüber einschließt, wessen Interessen als legitim gelten und also überhaupt zu berücksichtigen sind. Für die Lösung derartiger, letztlich politischer Fragen sind einzelne Forschungsprojekte unseres Erachtens nicht nur nicht zuständig, sondern angesichts des Wertpluralismus einer modernen Gesellschaft auch gar nicht in der Lage.
Die Alternative, für die wir uns in PANDA entschieden haben, besteht darin, die drohenden Dissense ernst zu nehmen, dem Konflikt aber „vertikal“ (4) auszuweichen: Wir fragen bereits in der Arbeitsplanung spezifisch nach möglichen Forschungsstrategien und -ergebnissen, die zur Bekämpfung der Kriminalität im Darknet beitragen, ohne die unter den Begriff der Freiheit versammelten Interessen, insbesondere den Bedarf an anonymer Kommunikation, gering zu schätzen.
(1) Vgl. Dingledine, Roger; Freedman, Michael J.; Molnar, David: „The Free Haven Project: Distributed Anonymous Storage Service“, in: Federrath, Hannes (Hrsg.): Designing Privacy Enhancing Technologies, Berlin; Heidelberg: Springer 2001, S. 67.
(2) Vgl. BVerfGE 65, 1, Rn 154.
(3) Vgl. Hubig, Christoph: Die Kunst des Möglichen II. Ethik der Technik als provisorische Moral, Bielefeld: transcript 2007, S. 147f.
(4) Vgl. ebenda, S. 155f.